Unbezahlte Rechnungen oder nicht abgeholte Fahrzeuge?

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Unbezahlte Rechnungen oder nicht abgeholte Fahrzeuge?

14. Februar 2025 agvs-upsa.ch – Was können Garagistinnen und Garagisten tun, wenn die Kundschaft trotz offener Rechnung ihr Auto abholen will oder gar das Fahrzeug nicht abholt und seinem Schicksal überlässt? Das Retentionsrecht kann hierbei eine Lösung sein. Noemi Wyss und Tahir Pardhan 


Das Retentionsrecht ermöglicht es Garagen, ein Fahrzeug bei offenen Forderungen zurückzubehalten – eine pragmatische Lösung für säumige Kundschaft. Foto: Shutterstock

 






Tahir Pardhan, Leiter Recht & Politik.


Hat die Garage gegenüber einer Kundin oder einem Kunden offene Forderungen, kann sie vom Retentionsrecht nach Art. 895 ZGB Gebrauch machen. Danach kann der Gläubiger einer fälligen Forderung eine Sache, die sich mit Willen des Schuldners im Besitz des Gläubigers befindet, bis zur Befriedigung der Forderung zurückbehalten. Dies gilt selbst dann, wenn die Kundschaft behauptet, die Rechnung sei unberechtigt oder zu hoch.

Bei der Geschäftsbeziehung zwischen Garagistin oder Garagist und einer natürlichen Person ist ein unmittelbarer innerer Zusammenhang (Konnexität) zwischen der zurückbehaltenen Sache und der Forderung notwendig. Dabei genügt es, wenn das zurückbehaltene Fahrzeug und die Forderung durch den gleichen Zweck verbunden sind oder sonst in einem natürlichen Zusammenhang stehen. Ein konkretes Beispiel: Wenn eine offene Rechnung für den letzten Service eines Fahrzeugs besteht, darf das Fahrzeug beim nächsten Service bis zur Begleichung retiniert werden, sofern die offene Rechnung auch dasselbe Fahrzeug betrifft.

Im kaufmännischen Verkehr sind die Anforderungen an die Konnexität lockerer (Art. 895 Abs. 2 ZGB). Kaufmännischer Verkehr liegt vor, wenn beide Parteien als Unternehmen ihre Firma im Handelsregister eintragen müssen und ein kaufmännisches Gewerbe betreiben. Hier genügt es, dass sowohl der Besitz am Fahrzeug als auch die offene Forderung aus gegenseitigem geschäftlichem Verkehr stammen und währenddessen entstanden sind, so beispielsweise, wenn eine Rechnung für Winterräder eines zweiten Firmenfahrzeugs noch offen ist, welche nicht im direkten Zusammenhang mit dem zurückbehaltenen Fahrzeug steht.
 






Noemi Wyss, juristische Mitarbeiterin Rechtsdienst.


Ein weiteres ärgerliches Problem tritt auf, wenn Kundinnen und Kunden Fahrzeuge in die Garage bringen, sie dann aber nicht mehr abholen. Leider gibt es keine befriedigende gesetzliche Grundlage, um das Fahrzeug direkt entsorgen oder verkaufen zu dürfen. Die Garage trifft die Pflicht, das Fahrzeug als fremdes Eigentum sorgfältig aufzubewahren und wieder an die Eigentümerschaft auszuhändigen. Bei Verstoss kann die Garagistin oder der Garagist schadenersatzpflichtig werden, und es kann auch eine Strafanzeige drohen. Das Retentionsrecht bietet die wohl pragmatischste Lösung: Ist die Adresse der Fahrzeuginhaberin oder des -inhabers bekannt, ist die Person per Einschreiben zur Abholung innert Frist aufzufordern, und es sind drohende Standgebühren anzukündigen. Wird das Fahrzeug daraufhin nicht abgeholt, können die Standgebühren in Rechnung gestellt werden (Art. 422 Abs. 1 OR). Die Höhe der Gebühren sollte in einem angemessenen Verhältnis zu den tatsächlichen Kosten stehen. Bei Nichtbezahlung entsteht wieder eine Forderung, welche dazu berechtigt, nach vorgängiger Benachrichtigung der Kundin oder des Kunden, die retinierte Sache wie ein Faustpfand zu verwerten (Art. 898 Abs. 1 ZGB) und sich aus dem Erlös bezahlt zu machen. Die Verwertung hat nach der Betreibung auf Pfandverwertung (Art. 151 ff. SchKG) zu geschehen. Sie ist nur dann sinnvoll, wenn das Fahrzeug noch einen gewissen Wert hat, denn die Betreibungskosten sind jeweils vorzuschiessen.

Ganz generell bedarf das Recht auf Retention keiner vertraglichen Vereinbarung. Hingegen können die Folgen einer Nichtabholung im Voraus vertraglich festgehalten werden. Wir empfehlen, hierzu jeweils immer schriftliche sowie unterzeichnete Kundenaufträge (inkl. Adresse der Kundschaft) zu schliessen und in einer Klausel vorzusehen, dass Fahrzeuge, welche nicht binnen einer definierten Frist nach Benachrichtigung zur Abholung abgeholt werden, entsorgt oder verwertet werden dürfen. 

Mit diesen Mitteln können Garagistinnen und Garagisten verhindern, dass sie auf nicht bezahlten Kosten sitzenbleiben oder ihr Areal als Abstellplatz für entsorgungsreife Fahrzeuge missbraucht wird.
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