Wie der Rennsport Pneus für die Strasse fit macht

Das schnellste Entwicklungslabor

Wie der Rennsport Pneus für die Strasse fit macht

22. September 2023 agvs-upsa.ch – Rennsport gilt als das «schnellste Entwicklungslabor der Welt». Nur eine werbewirksame Mär? Mitnichten: Gerade Serien wie Formel 1 und Formel E zeigen, wie Motorsport die Serie befruchtet, damit ­Garagistinnen und Garagisten leistungsstarke Pneus offerieren ­können. Timothy Pfannkuchen


Wie in der F1, so in der Formel E: Rennreifen müssen allen Extremen trotzen. Foto: Hankook

Auf den ersten Blick haben der Renn- und Strasseneinsatz von Pneus denkbar wenig miteinander zu tun. Ein Satz F1-Pneus kostet geschätzt 6000 Euro und hält maximal 300, teils keine 100 Kilometer weit. Im Motorsport werden die Gummis durchwegs am Limit bewegt – das ein «normales» Auto selten erlebt. Aber im Extrem kommt Fortschritt zur Welt: Hier werden Gummimischungen und Profile und Verfahren erprobt, die erst Jahre oder Jahrzehnte später die Serienreifen befruchten. 

Musterbeispiel ist die «Königsklasse» F1. Lange war sie vor allem auch ein Pneumarken-Wettbewerb, die Reifenmarke entschied wesentlich mit über Meistertitel oder Punktelosigkeit. Um den Kampf der Rennställe in den Vordergrund zu stellen, begann mit der Saison 2007 die Ära der Einheitslieferanten. Bis 2010 war dies Bridgestone, seit 2011 ist es Pirelli. Die Unterschiede zu einem Strassenreifen sind enorm. Zum Beispiel beim Bremsen: Ein normales Auto kommt auf 1g, ein F1-Bolide auf bis zu 5g Verzögerung. Oder im Regen: Serienpneus ­schaffen heute maximal 30 Liter Wasserverdrängung in der Sekunde bei 80km/h; ein Regenreifen in der F1 verdrängt bis zu 85 Liter Wasser – bei 300km/h! 

Aber eben: Ironischerweise liegt gerade darin der Grund, warum Rennreifen Pioniere sind. Nicht anders als bei Scheiben- und Keramikbremsen, dem Turbolader, dem Einsatz von Alu und Karbon, der Hybridtechnologie oder der Sensorik für Telemetriedaten nimmt bei Pneus vieles im Rennsport den Anfang, um nach und nach breiter angewendet und günstig genug für den Serieneinsatz zu werden. 



Wertvolle Reifendaten ohne Ende
Der wahre Schatz sind neben den hoch geheimen Formeln für die Gummimischungen aus 30 bis 35 Zutaten, an denen je nach Hersteller oft über 100 Spezialisten von Chemikern bis zu Mathematikern arbeiten, die an jedem Rennweekend irrwitzigen Datenmengen: Es dauert Wochen, sie auszuwerten. Am Ende zählt, was die Daten über die Haftung sagen – und der Grip im Rennen liefert Inputs für die Serie. Dies gilt umso mehr, seit 2022 von 13- auf 18-Zoll-Reifen umgestellt wurde. Die liegen näher an Strassenpneus, übrigens auch, weil sie mit dem neuen Format mehr Wert auf Design legen als zuvor. 

All dies gilt nicht nur für die F1, sondern jede Rennsportserie. Beispiel Formel E: Nach acht Saisons auf Michelin fuhren die Formel-E-Renner heuer Hankook. Dafür hat Hankook die Rennversion des iOn als Hybridreifen entwickelt, dessen Lauffläche aus zwei Gummimischungen besteht, bei denen bei einsetzendem Regen der innere Bereich die Nasshaftung liefert, der äussere Bereich dagegen für den Grip bei Trockenheit verantwortlich ist. Auch andere Eigenschaften, die E-Auto-Reifen auszeichnen müssen, wie etwa hohe Traglast wegen des höheren Gewichts bei zugleich hohen Laufleistungen, werden im Rennsport gnadenlos getestet, damit später auf der Strasse dann wirklich alles rund läuft.


Ein F1-Regen- verdrängt die vielfache Wassermenge eines Serienpneus. Foto: Sauber-Group​
 
Die Farbe verrät den F1-Reifentyp
Nicht nur die Regelwerke der Formel-1-Bereifung sind eine Wissenschaft für sich, sondern auch die Pneus selbst. Unterschieden werden beim Pirelli P Zero sechs Mischungen, die in der aktuellen Saison von C0 bis C5 (ganz hart bis ganz weich) reichen: C0 und C1 (hart) sind weiss, C2 und C3 (mittelhart) gelb und C4 und C5 (weich) rot markiert. Zu diesen sogenannten Slicks (Trockenreifen) hinzu kommen die Regenreifen: Sie erkennt man an dem grünen (Intermediate-Pneus, meist auf abtrocknenden Strecken verwendet) oder dem blauen (Wet, für stehendes Wasser/Regen) Ring auf den Flanken.
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